Benediktinerkloster einsiedeln (CH)
Fr. Meinrad Maria Hötzel
Wo fängt man an, wenn man die eigene Berufungsgeschichte erzählt? Nein, ich habe nicht schon als Kind Messe gespielt, als Achtjähriger ein Berufungserlebnis gehabt oder von meiner Oma prophezeit bekommen, dass ich einst ins Kloster eintreten werde. Dennoch beginnt auch meine Berufungsgeschichte in meiner Kindheit, denn hier wurden viele der Bausteine grundgelegt, die ich im Nachhinein als so tragend erkannt habe, dass ich daraus das Fundament meines Lebensweges errichtet habe. So lernte ich von meiner Mutter und meiner Grossmutter das Beten als Gespräch mit Gott und Pflege der Beziehung zu ihm. In meiner grossen Familie mit den fünf Geschwistern lernte ich die Schönheiten aber auch die Herausforderungen jedes Gemeinschaftslebens kennen. Meinen Eltern verdanke ich das Gefühl, grundsätzlich gewollt und geliebt zu sein, mein Vertrauen in mich selbst und die Sicherheit, mein Leben in die eigenen Hände nehmen zu können; ausgehend von diesem Faktum der Lebenssicherheit konnte ich den Grund dieses Gefühls, dieses Vertrauens und dieser Sicherheit in Gott finden.
In meiner Kindheit hatte ich aber auch den ersten Kontakt mit Ordenspersonen und da ich der Meinung bin, dass die persönlichen Begegnungen und Vorbilder, sei es bewusst oder unbewusst, eine sehr grosse Rolle in jeder Berufungsgeschichte spielen, rechne ich den Benediktinerinnen des Kinderheims Sonnenuhr in Engen eine wichtige Rolle bei meiner späteren Wahl eines geistlichen Weges an. Denn in diesen Schwestern, bei denen meine Mutter in ihrer Jugend mitgearbeitet hatte und mit denen sie bis heute befreundet ist, weshalb wir sie in meiner Kindheit unzählige Male besuchten, erlebt ich ganz natürlich und unbewusst ein hervorragendes Beispiel für gelungenes und fruchtbares Ordensleben. Es war und ist für mich so völlig unmöglich einen Widerspruch zwischen ihrem Ordenskleid und der Tatsache zu sehen, dass ich selten so mütterlichen, lustigen, lebensfrohen, bodenständigen und zugewandten Menschen begegnet bin.
Bis ich aber im Nachhinein diese Schwestern Vorbilder für mein eigenes Ordensleben erkennen konnte, dauerte es noch viele Jahre. Zunächst einmal verfestigte sich meine Auseinandersetzung mit meinem Glauben sowie meine Sozialisierung im kirchlichen Leben dank meiner Schuljahre in einem katholischen Internat und meinem Engagement in katholischen Studentenverbindungen während der Studienzeit. Die Frage nach der Berufung zum Priester oder Ordensmann spielte für mich in dieser Zeit keine bewusste Rolle. Als 12jähriger hatte ich bereits beschlossen, Geschichte studieren zu wollen und das tat ich dann auch.
Nach und nach begann ich nun aber daran zu leiden, dass mein Glaubensleben, das mir durch das persönliche Gespräch mit Gott im Gebet und die Reflexion der Fragen nach ihm und der Welt im Austausch mit Freunden so wichtig geworden war, und mein Alltag nichts miteinander zu tun zu haben schienen. Unter den Dominikanern, die ich während des Studiums in Freiburg über meine Studentenverbindung kennenlernte, traf ich dann Personen, die ausstrahlten, dass bei ihnen die verschiedenen Bereiche ihres Lebens zusammengehören und sich ergänzen, was mich sehr beeindruckte und interessierte. Daher intensivierte ich während meines Masterstudiums in Wien meinen Kontakt zu diesem Orden, wählte einen von ihnen zum geistlichen Begleiter, beschäftigte mich mit ihrer Spiritualität und wurde Laiendominikaner. Als solcher, dachte ich, könnte ich als Historiker und möglicherweise einst Familienvater mithilfe der vier Säulen der dominikanischen Spiritualität Gebet, Studium, Predigt und Gemeinschaft, gelebt nach meinen Möglichkeiten als Laie, einen harmonischen Lebensentwurf für mich finden.
Jedoch: Der Mensch denkt und Gott lenkt. Als Laiendominikaner ist man aufgefordert, wann immer möglich, mit einer dominikanischen Gemeinschaft das Chorgebet zu pflegen. Dies tat ich auch und fühlte mich enorm angezogen von der Kraft der biblischen Sprache in den Psalmen, die die Gefühle meines Glaubens teils besser in Worte fassen konnte als ich selbst dies vermochte. Auch merkte ich, wie kräftigend die Gemeinschaft und die Struktur des regelmässigen Gebetes ist. Aber ich wurde auch mit den praktischen Herausforderungen und Schwierigkeiten konfrontiert, die Praxis des Stundengebets mit einem Alltag zu konfrontieren, der nicht darauf ausgelegt ist. Nach und nach wurde mir klar, dass ich hier eine Entscheidung treffen musste und nicht sozusagen „auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen“ konnte. So begann ich, mich, mithilfe meines geistlichen Begleiters, bewusst zu fragen, ob ich in dieser Sehnsucht, die ich nach dem Chorgebet verspürte, vielleicht den Ruf Gottes zum Ordensleben hörte. Mir war schnell klar, dass ich diese Frage für mich nicht abstrakt beantworten konnte, sondern konkret bestimmte Ordensgemeinschaften prüfen musste.
Am naheliegendsten wäre es ja nun gewesen nun einfach innerhalb der dominikanischen Ordensfamilie den Ordenszweig zu wechseln. So stellte ich mir mich selbst als Dominikaner vor. Jedoch so sehr ich die Dominikaner für ihre wissenschaftliche Prägung und die konsequente Ausrichtung auf die Verkündigung in der individuellen Ordensexistenz eines jeden einzelnen Bruders bewunderte, so schwer viel es mir, mich persönlich darin zu erkennen. Auch wenn mir Wissenschaft und Verkündigung enorm am Herzen liegen, musste ich erkennen, dass ich nicht die Berufung zu dieser spezifischen Form des Ordenslebens verspürte.
Da ich mich im Psalmengebet aber von der Gemeinschaftlichkeit und dem Wunsch, mich an einem Ort einzuwurzeln, angezogen fühlte, besuchte ich vermehrt Klöster, die nach der Benediktsregel leben, weil für diese Gemeinschaftsleben und Beständigkeit wichtige Grundlagen sind. Bei diesen Besuchen bestätigte sich, was mir schon mein geistlicher Begleiter gesagt hatte, dass man sich nämlich nicht, für den Benediktinerorden an sich entscheiden kann, sondern an jedem Ort spüren muss, ob man sich an diesen Ort und in diese Gemeinschaft berufen fühlt. So war ich von vielen Klöstern sehr begeistert und fühlte mich von den Mitbrüdern angezogen, aber es fehlte das spezifische Gefühl, dass es hier richtig ist.
In dieser Zeit beschäftigte ich mich auch mit der Benediktsregel und las den spirituellen Kommentar zur Regel Ruf und Regel der Schriftstellerin Silja Walter, die als Sr. M. Hedwig als Nonne im Kloster Fahr bei Zürich lebte. In diesem Werk setzt sie sich sehr persönlich und existenziell mit der Regel auseinander, die sie wortwörtlich als Lehrmeisterin versteht, von der sie sich in die Beziehung mit Gott in Jesus Christus führen lässt. Diese Lektüre hat mich so tief berührt, dass mir mein geistlicher Begleiter riet, ins Kloster Einsiedeln zu fahren und mich dort mit P. Martin Werlen zu unterhalten, der Sr. Hedwig Walter einst begleitete. So lernte ich das Kloster Einsiedeln kennen.
Es dauerte nicht lange, bis ich realisierte, dass mich dieser Ort mit dem spezifischen Charisma der Wallfahrt auf ganz besondere Weise anzog. Zu sehen, wie die hiesige Klostergemeinschaft allein durch ihr Vorort-Bleiben und das Angebot der Liturgie und Sakramente für so viele Menschen einen Ort bereiten kann, an dem sie Gott suchen und finden können, hat mich zutiefst angesprochen. Dieses Angesprochen-Sein blieb dann aber nicht einfach so allgemein und vage, sondern ich fühlte mich ganz persönlich gemeint als die Klostergemeinschaft in der Vesper nach der Monatsprozession mit Litanei betete: „Gott, unser Vater! An dieser heiligen Stätte rufen wir voll Vertrauen zu dir. Hier hat dich der heilige Meinrad gesucht und dir bis in den Tod treu gedient. Hier erfahren Menschen seit vielen Jahrhunderten, dass Maria auch unsere Mutter ist. Du hast diesen Ort unserer Sorge anvertraut. Erneuere unsere Gemeinschaft durch deinen Heiligen Geist, damit wir dir und den Menschen in Treue dienen. Rufe junge Männer in unsere Gemeinschaft, die das Licht im Finsteren Wald lebendig erhalten, das du durch den heiligen Meinrad angezündet hast.“
Selbstverständlich mussten darauf noch einige Besuche im Kloster und Gespräche mit dem Novizenmeister und den Oberen folgen, um gegenseitig zu prüfen, ob ein Eintritt wirklich vorstellbar ist, aber letztlich hatte ich meinen Platz in Einsiedeln gefunden. So trat ich am 7. September 2016 in das Kloster Einsiedeln ein und legte hier nach Kandidatur und Noviziat am 15. Juli 2018 mit dem Ordensnamen Fr. Meinrad meine einfache Profess ab. Seither studiere ich Philosophie und Theologie, erst für drei Jahre in Rom und nun in Fribourg, um mich mit diesen Kenntnissen dann noch mehr und besser in die verschiedenen Aufgaben unseres Klosters am Wallfahrtsort einbringen zu können. So ist in den letzten Jahren meine Sehnsucht, hier an diesem Ort nicht nur meiner eigenen Gottessuche nachzugehen, sondern auch anderen einen Ort dafür zu bereiten. In diesem Sinne habe ich am 18. Juli 2021 meine feierliche Profess im Kloster Einsiedeln abgelegt, um mein Leben ganz dem zu widmen, auf dass Gott an diesem Ort auch den zweiten Teil des Gebets zur Monatsprozession, das mich vor meinem Eintritt so angesprochen hat, verwirkliche: “Lass alle, die zu diesem Gnadenort pilgern, ihre Berufung erkennen und schenke ihnen Mut und Freude, sie aus ganzem Herzen zu leben. Hilf der Kirche, die Zeichen der Zeit im Licht des Glaubens zu verstehen und sich mit ganzer Kraft für das Evangelium einzusetzen. Erneuere deine Kirche – und fange bei uns an.”
Bild (C) Br. Simon Stubbs OSB