Barmherziger Bruder von Maria-Hilf

Br. Daniel Graf

Mein Heimatort war geprägt von der Stickereiindustrie, von einem Hersteller von optischen Geräten, von der Landwirtschaft und einer Brauerei. Im Urlaub verdiente ich etwas Geld. Ich füllte in der Stickerei die Schiffchen für die Stickmaschinen mit Bobinen und kontrollierte den Fadenzug. Nach der Schule ging es in der Stickerei als Lehrling zum Sticker und Puncher. Stationen waren: die Ferggerei, hier wurden die Stoffe für die einzelnen Stickaufträge bereitet und geprüft; als Aufseher an der Stickmaschine, bei laufender Maschine mussten die gerissenen Fäden eingefädelt werden, die Stoffe gespannt und die Stickmaschine eingerichtet werden, dann als Sticker und Puncher, der die Lochkarten für die Stickautomaten lochte.

Doch in mir brannte eine Sehnsucht nach mehr. Ist es das, was Du im Leben willst? So landete ich in einem Studienheim für Spätberufene. Doch ich suchte weiter. Nach der Besichtigung des Steinhofs in Luzern fiel die Entscheidung. Das Beispiel und die Arbeit der Barmherzigen Brüder sprachen mich an. Ich will für die Menschen da sein. Der auf den Dächern singende Schornsteinfeger und Ordensgründer begeistert mich immer mehr. Es war seine Art, wie er die Situation der Menschen seiner Zeit verbessern wollte: Etwas für die orientierungslosen Jugendlichen tun, für Arme und Kranke sorgen.

Am 1. Mai 1968 begann ich meinen Weg als Barmherziger Bruder von Maria Hilf im Steinhof in Luzern. Die Brüdergemeinschaft befand sich im vom II. Vatikanischen Konzil angeregten Umbruch. Einmal pro Woche kam die Luzerner Gemeinschaft zusammen und wir jungen Postulanten und Novizen durften an der Erneuerung der Lebensregel mitarbeiten. Das Ideal der augustinischen Lebensgemeinschaft, die Art und Weise, wie der Ordensgründer, Peter Friedhofen, den Einsatz der Brüder für das Wohl der Menschen und der Kirche sah, begeisterten und wurden immer stärker zum erstrebenswerten Lebensinhalt. Getragen von der Erfahrung von Gemeinschaft, gemeinsamer Liturgie und dem Dienst am Menschen ging es Schritt für Schritt weiter.

Doch da die erste Ernüchterung: Nach kurzer Zeit waren von den Mitnovizen und von den Jungprofessen samt dem Novizenmeister alle weg. Es stellte sich in mir die Frage: “Willst auch Du gehen?” Mit gepacktem Koffer, fest entschlossen, auch abzuhauen, stand ich an der Treppe. Wie es so ist, da begegnet mir ein Mitbruder, der mir nicht so sympathisch war, und stellt die Frage: “Was hast Du vor?” Meine Antwort: “Ich habe die Schnauze voll und hau auch ab!” Da kommt die einfache Gegenfrage: “Warum bist Du überhaupt gekommen?” Wütend nahm ich die Koffer und kehrte in meine Zelle zurück. Ich habe mich aufs Bett gesetzt und geheult, aus Wut oder warum auch immer. So blieb ich, fest entschlossen, der Peter Friedhofen heute zu sein, egal was um mich herum geschieht.

Der Kontakt mit anderen jungen Ordensleuten aus verschiedenen Brüdergemeinschaften, im Apostelstift zu Köln, mit den großartigen Dozenten und dem Geistlichen Leiter der Studiengemeinschaft, Theodor Schnitzler, sicherten meine Berufung zum Ordensbruder. Mitten in der Stadt Köln befand sich unsere Gemeinschaft. Das feierliche Stundengebet beteten und pflegten wir mit der Gemeinde von Sankt Aposteln. Ich legte meine ersten Gelübde auf zwei Jahre ab.

Zurück in der Schweiz folgte ein Einsatz in der psychiatrischen Pflege und der Besuch der Schule für psychiatrische Pflege in Zürich. Es kamen spirituelle Strömungen in die Gemeinschaft, die mich ihr entfremdeten. So begann meine Zeit in Freiburg am Kneippsanatorium. Wir waren eine Gemeinschaft mit jungen Brüdern und kümmerten uns um Menschen, die zur Kur oder zur Rehabilitation in die Einrichtung kamen. Sternstunden für mich waren die geistreichen Gespräche mit den Kurgästen, vor allem mit den jungen Bundesliga-Fußballspielern, die zur Sportuntersuchung nach Freiburg kamen und in unserem Hause wohnten.

Es folgten die zeitlichen Gelübde auf 3 Jahre. Nun folgten 3 Jahre Ausbildung zum Krankenpfleger an der Universitätsklinik in Freiburg. Auch da fand ich wunderbare Vorbilder unter den Lehrern und Lehrerinnen mit dem hervorragenden medizinischen Schulleiter Prof. Heinze und Frau Renate Schacht, der Institutsleiterin. Der Umgang, das kritische Hinterfragen und die Akzeptanz durch die Mitschülerinnen und Mitschüler stärkten mich auf meinem Weg. In Freiburg legte ich meine Ewigen Gelübde ab.

Nach der Ausbildung ging es nach Trier. Als Stationsleiter im Krankenhaus für die Privatpatienten hieß es, die Pflege zu organisieren und umzusetzen. Auch da kamen neue Fragen auf: “Ist das der Sinn der Arbeit eines Barmherzigen Bruders?” “Für Privatpatienten zu leben und Butler zu sein?” In der Auseinandersetzung mit dem Obern wurde bald klar: es geht nicht nur um materielle Armut. In dieser Zeit wuchs die Berufung in der Berufung: Als Diakon in der Gemeinschaft kann ich in Kombination mit der Krankenpflege noch mehr für die Menschen da sein. So begann meine Ausbildung zum Ständigen Diakon.

Prägend sind die Zeiten der pastoralen Ausbildung mit Praktika in einer Gemeinde und in der Gefängnisseelsorge. Schon bald trat eine neue Herausforderung an mich heran. Schon die Freiburger hätten mich gerne als Schulassistenten an der Krankenpflegschule gehabt. Jetzt kam der Ruf an der Fortbildungsakademie in Köln, die Weiterbildung zum Unterrichtspfleger und für leitende Aufgaben im Krankenhaus zu besuchen. Nach der Erlangung der Diplome folgte meine Tätigkeit als Lehrer in der Krankenpflege und in einer Zeit, als die Pflegedienstleitung ausfiel, kam die Aufgabe der Pflegedienstleitung dazu.

Ein ehemaliger Schüler antwortete später einem Krankenpflegeschüler auf die Frage, wer denn Bruder Daniel sei: “Och, der Daniel war mein Lehrer, er hat uns getraut und meine Söhne getauft.”

Weitere Marken in meinem Ordensleben waren Aufgaben in der Gemeinschaft. Als Novizenmeister kümmerte ich mich um die Berufungspastoral und um die Aufnahme und Ausbildung des Ordensnachwuchses. Jeder junge Mensch, der den Schritt wagte, war eine Freude. Jeder, der trotz guten Willens den Weg nicht gehen konnte, tat weh. Letztendlich war es gut, zu sehen, wie jeder seinen Weg geht.

In der Generalleitung und als Generalsekretär durfte ich als Vizepostulator die Seligsprechung unseres seligen Ordensgründers in Rom erleben und organisieren. Es hat mich tief berührt, mein großes Vorbild so geehrt zu erleben. Unvergesslich bleibt der große Augenblick, als in der Apsis der Petersbasilika das Bild des Seligen enthüllt wurde.

Anspruchsvoll waren die Zeiten als Oberer der einzelnen Gemeinschaften. Es war nicht immer einfach, mit den Eigenheiten der Mitbrüder und den eigenen umzugehen und sie zu ertragen. Gilt doch das augustinische Ideal, jeden Mitbruder und sich selbst als Geschenk und Tempel Gottes zu behandeln. Ein großer Sprung bedeutete die Versetzung nach Brasilien. Da war ich als Allrounder gefordert. Eine Zeit hoher Verantwortung und Spannung. Allrounder bedeutet: In einem fremden Land, Regionsoberer, Novizenmeister, Konventoberer, Krankenhausdirektor zu sein, in einem fremden Gesundheitssystem, in anderer Kultur und Sprache.

Für mich bedeutete das Wort “Mission”, sich zu inkulturieren, mit der Mentalität der Menschen vor Ort zu leben und einfach da zu sein und so von Christi Liebe und Einsatz für die Armen und Kranken Zeugnis zu geben. Es geht darum, im Vertrauen auf Gott und den Ordensgründer ein Werk für arme Kranke weiterzuentwickeln und -führen. Es war auch das Erleben, was es bedeutet, in einem Land mit einer monatlichen Inflation von 60% einen Betrieb zu führen, von dem außer den Patienten und Patientinnen über 5000 Personen versorgt bzw. ernährt werden.

Ein Herzinfarkt zeigte mir Grenzen, aber auch die herzliche Zuwendung und Sorge der Menschen. Es tat gut, in dieser schweren Zeit Tag und Nacht einen Mitbruder bei sich zu haben. Am meisten beeindruckt hat mich die Gebetskette der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Täglich traf sich die Dienstgemeinschaft in der Krankenhauskapelle, um für mich zu beten. Das gab Kraft und Mut zum Weitermachen.

In der Heimat zurück durfte ich nach einem KSA Kurs in Paderborn beim Modellprojekt für die generalistische Krankenpflegeausbildung und der Erprobung eines Curriculums dazu als Lehrer weitermachen.

Nach diesem Projekt wirkte ich als hauptamtlicher Diakon in einer Pfarreiengemeinschaft und lebte in Koblenz.
Rückblickend glaube ich, mit der Gnade Gottes und der Fürbitte des seligen Bruders Peter Friedhofen, mit Mitstreitern an der Seite, ist mir viel gelungen. Armut und ehelose Keuschheit haben mich reich gemacht. Viele Begegnungen mit Menschen, Freunde und Beziehungen bestehen bis heute. Der Gehorsam war schwierig, wenn Macht im Vordergrund stand und es ging nicht mehr das Ringen um die Verwirklichung von Zielen und Idealen des Ordensgründers.

Alles in allem glaube ich, auf ein gelungenes und erfülltes Leben zu schauen. Summa summarum setze ich über mein Leben das Wort unseres Ordensgründers, das mich immer begleitet: “Wir haben uns erwählt Jesus Christus, den Gekreuzigten. Ihm haben wir alles geschenkt und auch er hat sich uns geschenkt.”