Jesuit

Br. Pascal Meyer

Zum ersten Mal „traf“ ich die Jesuiten mit 16 Jahren in einem Computerspiel: Wenn man darin Jesuitenschulen in seinen Städten baute, konnte man den Wissenschaftsgrad der Stadt erhöhen und damit das Spiel leichter gewinnen. Und damit sind wir auch bereits bei meinem ersten Vorurteil, das ich als Jugendlicher von den Jesuiten hatte. Für mich waren das alles Intellektuelle – quasi die akademische Elite der katholischen Kirche. Für mich als nicht gerade akademisch Begabten eine unerreichbare Sondertruppe.

Das zweite Vorurteil war deutlich anziehender und wurde durch den Film „The Mission“ aus dem Jahr 1986 gefördert: Jesuiten sind Missionare und Meister der Völkerverständigung. Dort wo andere scheitern, das Wort Gottes zu verkündigen, schaffen es die Jesuiten, die Botschaft in die jeweilige Kultur und Sprache zu übersetzen. Das fand und finde ich genial.

Doch das dritte Vorurteil war dann wieder eher abschreckend: So weltoffen die Jesuiten auch schienen, so blieben sie doch eine religiöse Gemeinschaft. Und das bedeutet nach den Gelübden von Gehorsam, Armut und Keuschheit zu leben. Das war für mich unvorstellbar.

Doch gleichzeitig wusste ich: Würde ich jemals die absurde Idee haben, in einen Orden einzutreten, würde ich Jesuit werden wollen. Doch das war bei meinem Lebensstil unvereinbar. Ich glaubte zwar an Gott und das Evangelium von Jesus Christus. Aber sonderlich praktizierend war ich nicht. Ich ging zwar häufiger als nur an Weihnachten und Ostern zur Kirche. Aber wöchentlich? Keine Chance. Oft schlief mir bei der Predigt das Gesicht ein. Und der Klang der Psalmen, vorgetragen von einer gefühlt Neunzigjährigen mit Operndiva-Komplex, berührte mein Herz auch nicht besonders. Partys, Reisen, Vergnügen, Computerspiele, Alkoholexzesse waren eher mein Ding. Klar glaubte ich an Gott… aber Gott hatte keine Priorität in meinem Leben.

Während des Studiums änderte sich mein Zugang zum Glauben durch die Studentenseelsorge der Jesuiten am aki Zürich, wo ich öfters zum Gottesdienst ging. Mir gefiel ihr lebensnaher Predigtstil. Bei ihnen ging es um konkrete Inhalte und Tagesaktualitäten. Das fand ich super. Aber nicht so super, dass ich deshalb hätte Jesuit werden wollen.

Mein Bekehrungsmoment erlebte ich Ende Zwanzig, als ich in einem Wellnesshotel einen Unfall baute. Selbstsicher wollte ich vor dem Abendessen noch eine Runde im Swimmingpool schwimmen. Leider hatte ich übersehen, dass das Schwimmbecken aus Sicherheitsgründen lediglich eine Wassertiefe von ungefähr 80cm aufwies (wer hätte das schon ahnen können – es gab immerhin Springböcke). Mein Kopfsprung endete folglich – wie das Wort vermuten lässt – mit einem Sprung auf den Kopf. Oder mit anderen Worten: Ich schlug mit dem Schädel hart auf den Beckenboden auf (80cm tiefes Wasser kann nicht viel abbremsen). Wie durch ein Wunder verlor ich nicht das Bewusstsein. Im ersten Moment dachte ich sogar, ich könne einfach weiterschwimmen. Doch als sich das Wasser um mich herum rot färbte, musste ich einsehen, dass ich aus dieser Sache nicht so einfach herauskommen werde.  Nach einer ersten notdürftigen Verarztung durch den Bademeister wurde ich ins Krankenhaus gebracht, wo mir der Arzt nach freundlicher Begrüßung drei Klammern in den Schädel jagte, um die 10cm lange Wunde an meinem Kopf zu verschließen. Danach folgte ein kurzer Blick auf das Röntgenbild mit darauffolgender Diagnose: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben offenbar einen guten Schutzengel. Bei Ihrem Gewicht und bei der Sprunghöhe hätten Sie ebenso gut schwerbehindert oder tot sein können. Das Röntgenbild zeigt aber keinerlei Schäden auf… gehen sie in einer Woche zu ihrem Hausarzt, damit er ihnen die Klammern rausnimmt. Sie können jetzt nach Hause. Einen schönen Abend noch.“

Da verließ ich das Krankenhaus und lief allein zurück zum Hotel, während ich – von meinen Gefühlen übermannt – heulte wie ein Schlosshund. Mir war völlig unverdient eine zweite Chance geschenkt worden. Andere wären bei diesem Unfall gestorben. Ich stieg aus der Sache nahezu unverletzt hervor. Ich habe noch nicht einmal eine richtige Narbe davongetragen. Doch umso stärker war der Eindruck in meinem Herzen.

In der darauffolgenden Woche verabredete ich mich mit einem der Jesuiten des aki Zürichs, um über meine Vergangenheit ausführlich zu sprechen. Ich wollte die Vergangenheit bereinigen, neu anfangen, mich mit Gott versöhnen. Und das tat ich auch. Die Generalbeichte war im Endeffekt nicht spektakulär, aber zumindest konnte ich endlich einmal über alles reden, was in meinem Leben schief gelaufen war. Das tat unglaublich gut. In den darauffolgenden Monaten vertiefte ich mich zunehmend in die Glaubensweise der Jesuiten, die sogenannte ignatianische Spiritualität. Ihr Motto lautet: „Gott suchen und finden in allen Dingen.“ Das zog mich in den Bann. Ich lernte Gott und insbesondere Jesus Christus neu kennen als jemand, der in eine persönliche Beziehung mit den Menschen tritt. Dadurch wurde ich natürlich nicht zum Heiligen. Aber zumindest änderte ich meine Lebensweisen. Und ich wurde freundlicher. Das sagten mir mehrere Menschen damals: „Pascal, du hast dich positiv verändert. Du bist liebenswürdiger geworden.“

Gegen Ende meines Studiums kam die Frage auf, wie es danach weitergehen sollte. Ich hatte ein paar gute Pläne für die Zukunft geschmiedet. Aber welcher davon sollte es sein? Die Jesuiten empfehlen in so einer Situation sogenannte „Geistliche Übungen“ oder „Exerzitien“ zu machen. Das sind mehrere Tage im Schweigen, in welchen man mittels Gebet, Stille und der Heiligen Schrift mehr Aufmerksamkeit für sich und seine Umwelt erlangt und dadurch bessere Entscheidungen treffen kann. Meine Erfahrung war allerdings komplizierter: Anstatt eine Antwort auf meine Zukunftsfrage zu erhalten, verspürte ich wie aus dem Nichts heraus eine Frage in meinem Innersten. Eine Frage, die ich früher als „absurd“ abgehakt hatte: „Willst du Jesuit werden?“

Mein geistlicher Begleiter meinte dazu relativ trocken „Warum denn nicht?“

Mit dieser Antwort fühlte ich mich ermutigt, mich beim damaligen Novizenmeister in Nürnberg zu melden und um einen Besuch des Noviziats zu bitten. Schon eine Woche später durfte ich für dreieinhalb Tage mit der Novizengemeinschaft mitwohnen und an mehreren der alltäglichen Veranstaltungen teilnehmen. Ich gebe zu, dass mich dieser Besuch etwas irritiert hat, da die Novizen über geistliche Dinge sprachen, die ich schlicht nicht verstand. Das war mir alles etwas zu viel.

Doch dann machte ich eine tolle Erfahrung in den persönlichen Gesprächen mit diesen jungen Männern: Die waren nicht nur alle einzigartig in ihrem Charakter, sondern wiesen auch eine bunte Palette von Interessen und Vorgeschichten auf. Der eine war früher Ministrant, ein anderer hat erst spät zum Glauben gefunden, einer mochte Computerspiele wie ich, ein anderer war eher auf Sport konzentriert usw. Diese Vielfalt gefiel mir. Wenn der Orden nämlich für solch unterschiedliche Charaktere eine Heimat sein konnte, dann gab es auch für mich einen Platz in dieser Gemeinschaft. Und so entschied ich mich, in die ‚Gesellschaft Jesu’ einzutreten und Jesuit zu werden.

Zur Zeit studiere ich Theologie in Kolumbien, nachdem ich vorher das Noviziat und das Philosophiestudium in Deutschland, sowie das Magisterium (ein zweijähriges Praktikum) in Genf absolviert hatte. Seit acht Jahren bin ich Jesuit und habe meine Entscheidung bisher noch nie bereut. Meine bislang wichtigste Erfahrung ist aber die Dynamik, wie Gott Menschen in seine Nachfolge ruft:

Gott sucht nicht die Perfektion, sondern Menschen mit Ecken und Kanten, mit Licht und Schatten ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Menschen, die ihre Stärken und Schwächen haben, Talente und Begrenzungen. Als Jugendlicher ging ich davon aus, dass Gott nur Interesse an Menschen ohne Fehler und Mäkel hätte. Heute bin ich überzeugt, dass Gott an allen Menschen Interesse hat, gerade weil wir alle unsere Sünden mit uns herumtragen. Denn die Erfahrung mit unseren eigenen Fehlern und Begrenzungen macht uns sensibel, in dieser Welt mit seinem Licht und seinen Schatten für andere Menschen da zu sein. Zur größeren Ehre Gottes – ad maiorem Dei gloriam.