Dominikaner

fr. Tobias Martin Sieberichs

„Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst“ (Gen 28,15)

Meine frühsten Erinnerungen an die Kirche sind mit meinem Großvater verbunden. Zum Beispiel erinnere ich mich daran, dass ich mit ihm zu einem Rosenkranz in die Kapelle des Ortes gegangen bin. Die dauernden Wiederholungen des immer Gleichen konnte ich als kleiner Junge nicht verstehen. Mir wurde zusehends langweilig und ich fing an mir vorzustellen, die Haken zum Aufhängen von Taschen unter den Bänken seien Joysticks, mit denen ich ein Flugzeug steuern könne. Während mein Großvater also mit der Gemeinde den Rosenkranz betete, flog ich mit meinem Jet unter der Bank in ferne Welten.

Kirche und Glaube war für mich etwas für alte Menschen. So hatte ich in meiner Kindheit und Jugend – zumindest bewusst – nicht wirklich einen festen Draht zu kirchlichen Feiern und Themen des Glaubens. Gebetet haben wir in der Familie, besonders bei meinen Großeltern und bei meiner Mutter, jedoch recht regelmäßig: vor dem Zubettgehen, vor dem Essen und auch danach. Gott war mir präsent, ohne eine allzu vordergründige Rolle in meinem Leben einzunehmen.

Nachdem ich als junger Erwachsener jedoch schwer krank wurde – eine Fortsetzung eines angeborenen Herzfehlers, mit dem ich in meiner Kindheit schon zu kämpfen hatte – änderte sich vieles. Ich bekam mit, wie meine Mutter um mich betete. Rückblickend merke ich, dass mich das sehr beeindruckt hatte. Trotz einer Lage, in der ich nicht mehr viel Hoffnung hatte, wurde ich bald wieder gesund.

Die Erkrankung und meine Genesung betreffend stellten sich mir einige Fragen, die ich mir erst später beantworten konnte: „Warum ist mir das passiert?“, „Warum musste ich das ertragen?“, „Wie habe ich es geschafft aus dieser Situation gesund heraus zu kommen?“

Zunächst verlief mein Leben weiter, wie ich es geplant hatte: Ich machte mein Abitur und begann ein Lehramtsstudium in Freiburg im Breisgau. Nach kurzer Zeit merkte ich aber, dass ich wohl nicht das Richtige gewählt hatte: das Studium fiel mir zusehends schwer. Mathematik und Physik hatte ich mir als Fächerkombination ausgesucht – in der Schule meine Lieblingsfächer, im Studium aber viel zu kraftzehrend für mich. Ich brach mein Studium ab. Aber was sollte ich sonst machen?

Lange Zeit konnte ich mich zu nichts Neuem aufraffen, bis meiner Mutter der Kragen platzte: „Schreib dich für irgendwas ein, und wenn es Katholische Theologie ist!“ Ich weiß nicht, ob sie geahnt hat, dass ich das wirklich mache – eher würde ich denken, dass ich aus Trotz handelte – aber ich schrieb mich tatsächlich für den Studiengang Katholische Theologie an der Freiburger Universität ein.

Von Beginn an war ich begeistert. Zunächst von meinen Mitstudenten, mit denen ich mich recht schnell anfreundete. Es waren junge Menschen, die ihren Glauben lebten, in der Welt und in der Kirche engagiert waren und großes Interesse daran hatten Gott und ihre Religion weiter kennenzulernen. Ich ließ mich anstecken und fand auch am Studium Gefallen – über „Gott und die Welt“ nachdenken, verstehen lernen: die Geisteswissenschaft lag mir doch mehr als die Naturwissenschaft.

Ich fing an meinen neu- oder wiederentdeckten Glauben auch in Taten zu leben: Ich engagierte mich ehrenamtlich in einem Seniorenstift der Caritas und bei der Diözesanstelle für Berufungspastoral des Erzbistums Freiburg – „da hab ich doch Erfahrung!“, dachte ich mir.

2011 – schon/ noch am Anfang meines Theologiestudiums – besuchte Papst Benedikt XVI. Freiburg. Über die Diözesanstelle half ich in einem „Aussprache-Zelt“ (Beichte und Gesprächsmöglichkeit) während der Jugendvigil mit dem Papst mit. Als Zeichen der Verbundenheit verteilten wir dort an jeden – auch an uns – blaue Armbänder mit der Aufschrift:

„Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst“ (Gen 28,15).

Dieser Vers wurde mir zum geistlichen Wegweiser, zum Schlüssel für das Verständnis meiner Vergangenheit und zum Auftrag für mein Leben.

Warum habe ich die schwere Krankheit so gut überstanden? – Weil Gott bei mir war, mich behütet hat und augenscheinlich noch etwas mit mir vor hatte.

Was hat er mit mir vor? – Ich soll ihn als den mitgehenden Gott verkünden, als den, der in allen Schwierigkeiten und Notlagen da ist; mit dem wir aber auch unsere Freude und unser Glück teilen können.

Ich wollte vor allem aber den Menschen – in der Nachfolge Christi, wie ich sie verstand – ein Mitgehender sein; jemand, der ihre Sorgen kennt und zu helfen weiß.

In dieser Zeit fand ich in meiner Heimat in Freiburg kleinere Gruppen von Studenten, die zum großen Teil auf der Suche nach ihrem Lebensweg waren; im Umfeld einer franziskanischen Schwesterngemeinschaft, in dem ich meist als einziger Mann viele geistlich wertvolle Stunden verbrachte; in der Katholischen Hochschulgemeinde, in der ich mich mit einer von mir gegründeten Gruppe engagierte, die jungen Studenten beim Einstieg und bei Problemen im Studium helfen sollte; und über den KHG-Pfarrer – damals ein Dominikaner – in der dominikanischen Pfarrei St. Martin, in der Freiburger Innenstadt. Fast täglich besuchte ich dort die Messe, die nicht nur zeitlich gut in meinen Studienalltag passte, sondern immer schön gestaltet war – mit einer guten Predigt – und in die viele meiner Freunde gingen. Nach einer Zeit fiel ich dem damaligen Pfarrer auf: Er fragte mich, ob ich die Lesungen lesen möchte, ministrieren möchte.

Mehr und mehr lernte ich die ganze Gemeinschaft der Dominikaner in Freiburg kennen. Ich wurde mal zum Frühstück, mal zum Mittagessen, zu guter Letzt auch zum Mitleben für eine Woche eingeladen. Die Lebensweise der Dominikaner gefiel mir, weil sich die Brüder so oft es ging in ihre Gemeinschaft und ins Gebet zurückzogen und darin Kraft und Antrieb fanden in der Welt zu wirken – als Pfarrer, Seelsorger, Wissenschaftler oder Professor.

Gott kennenlernen: Im Gebet, im Studium, unter meinen Mitmenschen. Ihn in die Welt tragen – weil ich weiß wie unendlich wertvoll mir meine Beziehung zu ihm ist und weil ich glaube, dass viele Menschen, die ihn noch nicht kennen, auch in ihm Trost, Verständnis und Segen finden können – das wurde mir zur Berufung.

Welcher Weg wäre da naheliegender, als der im Dominikanerorden?

Ich möchte Priester werden, um die Geheimnisse des Glaubens – die Sakramente – mit Gott und den Menschen feiern zu können; ich möchte Seelsorger sein, um fragenden Menschen und denen, die sich in Notlagen befinden, beistehen zu können; ich möchte Mönch sein, um bei Gott meine Ruhe finden zu können (vgl. Ps 62,2), in und bei ihm auftanken und leben zu können.

Nachdem ich 2015 in den Orden der Dominikaner eingetreten bin, habe ich 2017 meine Einfache und 2020 meine Feierliche Profess gemacht. Neben meinem Theologiestudium machte ich eine Ausbildung zum Geistlichen Begleiter. Um noch tiefer meinem Charisma zu folgen, habe ich im vergangenen Jahr eine weitere Ausbildung zum Psychotherapeuten begonnen.

Ich lebe in einer Gemeinschaft von 10 Brüdern in einem barocken Kloster in der Wiener Innenstadt, bin engagiert als Gesprächsseelsorger und Geistlicher Begleiter und freue mich auf das, was die Zukunft mir bringt – meinen weiteren Weg mit Gott.