Benediktinerkloster Einsiedeln (Schweiz)
P. Philipp Steiner
Anders als viele meiner jetzigen Mitbrüder bin ich als «Quereinsteiger» ins Kloster Einsiedeln gekommen. Denn ich besuchte nicht das klostereigene Gymnasium wie viele von ihnen. Ja, ich bezweifle sogar, dass ich als Absolvent der Stiftsschule überhaupt jemals in dieses Kloster eingetreten wäre. Denn der Gedanke, mein ganzes Leben in einem «Schulhaus» zu verbringen und mit meinen ehemaligen Lehrern unter einem Dach zusammenzuleben, wäre mir nach der Matura wohl ziemlich abstrus vorgekommen. Allenfalls hätte ich mir eine andere Gemeinschaft gesucht. Dies zeigt, dass die Berufungswege so unterschiedlich sind wie die Menschen, die sie gehen.
Aufgewachsen bin ich ganz in der Nähe von Einsiedeln, wobei zwischen meinem Heimatort und Einsiedeln – typisch Schweiz – ein Berg liegt. Doch innerhalb einer halben Stunde hat man dieses Hindernis umfahren und so kannte ich schon als kleiner Bub das beeindruckende Kloster mit seiner Schwarzen Madonna, dem Zentrum unseres Wallfahrtsortes. Ich stamme aus einer sehr aktiven Familie, die am Wochenende gerne in die Berge ging, Ausflüge machte, Verwandte besuchte oder selbst Besuch empfing. Stand mal kein solcher auf dem Programm oder verhinderte Schlechtwetter eine Wanderung oder das Skifahren in den Bergen, ging es oft nach Einsiedeln. Kein Wunder, dass es ziemlich lange brauchte, bis ich diesen Ort auch mal bei schönem Wetter erlebte! Weil mich aber Kirchen schon seit meiner frühsten Kindheit faszinierten, störte mich der bleierne Himmel über Einsiedeln nicht. Vielmehr schlug mich der barocke Kirchenraum in seiner Weite und Festlichkeit in seinen Bann. Das Kerzenanzünden bei der Schwarzen Madonna und ein paar Minuten Stille in der Unterkirche, unserer Krypta, gehörten bei jedem Besuch dazu. Ab und zu gingen wir nach dem Kaffee nochmals zurück in die Klosterkirche, um die Mönche das «Salve Regina» bei der Gnadenkapelle singen zu hören. Trotz dieser punktuellen Begegnung mit den Einsiedler Benediktinern war mir als Kind nur am Rande bewusst, dass es sich bei diesem riesigen Bau um ein Kloster handelte. Für mich war es primär ein Wallfahrtsort mit einer immens grossen Kirche.
Schon als kleiner Junge wollte ich Pfarrer werden, auch wenn zeitweise andere Berufswünsche wie Archäologe oder Bauer auftauchten. Ich erinnere mich gut daran, wie ich als Kind gerne zu Bett ging, weil ich dann einige Minuten im Gebet verbringen konnte. Gott war für mich ein konkretes Gegenüber. Anders als mein Bruder besuchte ich auch gerne den Gottesdienst. Es faszinierte mich, was der Priester dort vorne am Altar tat. Dennoch wurde ich nur deshalb Ministrant, weil unsere Ministrantengruppe alljährlich einen Ausflug in einen grossen Freizeitpark unternehmen durfte. Ja, Gott schreibt bekanntlich auch auf krummen Zeilen gerade! Doch an die Stelle dieser anfänglich etwas unlauteren Motivation traten schnell hehrere Motive: Ich war gerne Ministrant und glücklich, so nahe am heiligen Geschehen zu sein.
Dass ich einmal Theologie studieren und anschliessend vielleicht Priester werden würde, war für viele Menschen in meinem Umfeld ziemlich klar. Dieser Zukunftswunsch war auch für mich der Grund dafür, dass ich auf das Gymnasium gehen wollte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals wegen meines Berufswunsches gehänselt worden wäre.
Je näher jedoch der Übertritt ans Gymnasium heranrückte, desto klarer kristallisierte sich für mich heraus, dass ich nicht Seelsorger in einer Pfarrei werden wollte. Dass ich mir stattdessen ein Leben als Mönch vorstellen konnte, behielt ich lange Zeit für mich. Schon länger beschäftigte ich mich mit dem Mönchtum und verschlang zu diesem Thema stapelweise Bücher. Obwohl mein Vater im Mutterhaus einer internationalen Schwesternkongregation arbeitete und seine leibliche Schwester selbst Ordensfrau war, blieb mein Zugang zum Klosterleben eher ein theoretischer. Denn bis zu meinem ersten Gastaufenthalt im Kloster Einsiedeln hatte ich nie persönlichen Kontakt zu einem Mönch.
Als ausgeprägter Familienmensch mit einer grossen Liebe zur Liturgie und einer tiefen Verwurzelung mit meiner Heimat machte das Leben als Benediktiner in einem nahen Kloster für mich besonders attraktiv. Dass das Kloster Einsiedeln zu jener Zeit zudem einige jüngere Mönche hatte und eine grosse Ausstrahlung besass, machte es für mich naheliegend, als erstes bei diesem Kloster anzuklopfen. Doch bis dahin gab es ein grosses Hindernis zu überwinden: Ich musste meiner Familie von meinem Vorhaben erzählen. Dies eilte, wollten doch meine Eltern nach der obligatorischen Rekrutenschule wissen, für welchen Studienort ich mich entscheiden würde. Zuerst wollte ich ihnen meinen Plan an Heiligabend eröffnen. Dass ich dies schliesslich doch nicht tat, war im Nachhinein eine gute Entscheidung. Denn Weihnachten 2005 wäre damit definitiv im Eimer gewesen! An einem Januartag habe ich dann aber doch meinen ganzen Mut zusammengenommen und mich zuerst meiner Mutter anvertraut. Die vorsichtige Ankündigung, einige Tage als Gast im Kloster Einsiedeln verbringen zu wollen, rief absolutes Unverständnis hervor, gefolgt von Strömen von Tränen, welche tagelang nicht versiegen sollten. Meine Mutter ahnte wohl, dass hier mehr als nur «ein paar stille Tage im Kloster» anstehen würden. Sie meinte, ihren Sohn zu verlieren. Damit, dass ich Priester werden wollte, hatte sie sich irgendwie abgefunden, obwohl sie wohl noch lange hoffte, dass ich mich irgendwann verlieben würde. Aber Mönch? Das schien für sie eine ganz andere Liga zu sein und rief entsprechende Widerstände hervor. Zum Glück sah es bei meinem Vater und meinem Bruder etwas anders aus: Sie fanden meine Pläne ganz in Ordnung. Also meldete ich mich für einen dreitägigen Gastaufenthalt an. Während diesen Tagen schwebte ich auf Wolke Sieben. Ich dachte mir: Das Leben im Kloster ist ja noch viel schöner, als ich gedacht hatte!
Allerdings erfolgte dann der Klostereintritt doch nicht so schnell wie von mir gedacht. Denn der damalige Novizenmeister mahnte zu Geduld und riet mir, im Priesterseminar meiner Heimatdiözese das Propädeutikum, eine Art Entscheidungs- und Einführungsjahr, zu besuchen. Dort sollte ich Gewissheit hinsichtlich der Frage erlangen, ob das Leben als Diözesanpriester vielleicht nicht doch etwas für mich wäre. Denn so ganz war dieser Berufungsweg nicht aus meinem Blick geschwunden. Ich fühlte beinahe etwas wie eine Verpflichtung, angesichts des akuten Priestermangels auch diese Option genau zu prüfen, zumal ja das Priestertum meine «erste Liebe» war. Bis zum Beginn des Propädeutikums wollte ich die Zeit nutzen, um mir einen langgehegten Wunsch zu erfüllen: einen längeren Aufenthalt im Heiligen Land. Während fünf Monaten arbeitete ich so in einem Heim für Kinder mit körperlicher und geistiger Behinderung nahe Jerusalem. Diese Erfahrung hat mich unglaublich bereichert.
Als ich anschliessend ins Priesterseminar zog, zeigte sich allerdings schon bald: Meine Sehnsucht ruft mich unwiderstehlich ins Kloster. Trotzdem bin ich dankbar für diesen «Abstecher» ins Priesterseminar. Denn er verhalf mir zu einer klaren Entscheidung. Während meine Ankündigung, ins Kloster Einsiedeln einzutreten, in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sowie in meiner grossen Verwandtschaft auf Unterstützung stiess, hatte meine Mutter weiterhin grosse Vorbehalte. Dies änderte sich erst allmählich, nachdem ich Ende August 2007 tatsächlich im Kloster Einsiedeln meinen Weg als Mönch begonnen hatte.