Jesuit
P. Sebastian Ortner
Schon als Kleinkind nahmen mich meine Eltern mit in die Kirche. Sie sagten mir oft, dass ich ganz still gewesen sei und aufmerksam zuhörte. Ich fühlte mich in der Kirche geborgen.
Als Teenager begann ich langsam zu verstehen, worüber der Pfarrer eigentlich predigte. Ich merkte, dass es mit meinem Leben zu tun hatte. Nicht nur das, ich sah, wie es mir in meinem Alltag in der Schule helfen konnte.
Oft dachte ich mit meinem Vater über Gott und die Welt nach. Was ist der Sinn des Lebens? Warum leben wir hier auf diesem Planeten? Was wird passieren, wenn wir sterben? Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts?
Vor der Matura beschloss ich, Philosophie und Theologie, vielleicht in Kombination mit Latinistik, Gräzistik oder Kunstwissenschaft, zu studieren.
Ich wollte Klarheit darüber, ob der christliche Glaube dazu taugte, mein Leben auf ihn zu gründen – oder nicht. Doch vor dem heiß ersehnten Studium musste ich noch meinen Zivildienst absolvieren.
Es war während dieser neun Monate als Zivildiener, dass ich zum ersten Mal Exerzitien machte und einen Jesuiten kennenlernte. Es waren kontemplative Exerzitien: Zwischen fünf und sieben Stunden jeden Tag auf kontemplative Weise beten, ganz in der Wahrnehmung bleiben, Eucharistie feiern, die Holztreppe sauber halten, die Spülmaschine einräumen, schweigend essen, beim Begleitungsgespräch darüber sprechen, was mich gerade beschäftigt, durch den Wald spazieren oder joggen: das waren wichtige Elemente dieser zehn Tage.
Plötzlich tauchten Gefühle und Fragen auf. Mir schien, dass ich meinen Eltern, Schwestern und Freunden nicht dankbar genug gewesen war für all das Gute, das sie mir getan hatten.
Ich spürte den Wunsch, meinen Glauben mit anderen zu teilen, so wie es der Jesuit tat, der uns begleitete. Ich wollte anderen helfen, in ihrem Leben innerlich zu heilen. Ich gelang zu der Überzeugung, dass unser christlicher Glaube etwas sehr Wertvolles ist, stark genug, um unser Leben darauf aufzubauen.
Der Jesuit, der die Exerzitien leitete, war der erste, den ich in meinem Leben kennenlernte. Ich kannte vorher keine Jesuiten. Er war es, der mir über die theologische Fakultät Innsbruck und das dortige internationale theologisches Kolleg „Canisianum“ erzählte.
Ich war sofort Feuer und Flamme und schrieb an den Direktor des Kollegs, der mich freudig einlud, auf Besuch zu kommen und mir alles anzusehen.
So lebte ich von meinem 20. bis zu meinem 25. Lebensjahr unter ca. 40 Priestern und Seminaristen aus Asien, Afrika, Osteuropa und Amerika. Es war ein Privileg für mich, dort zu leben und viel von den meist jungen Priestern und über ihre ca. 15 verschiedenen Herkunftsländer zu lernen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt weder Priester noch Seminarist war. Auch wenn ich dazu nicht verpflichtet war, nahm ich am gesamten Programm des Kollegslebens teil: Tischdienst, Liturgiedienst, Wallfahrten, Exkursionen, Einkehrtage. Mehrere von den „Canisianern“ waren dankbar, wenn ich als Muttersprachler ihre Texte korrigierte. Für mich war es wiederum interessant, die Situation der Kirche in ihren jeweiligen Ländern kennen zu lernen, und zwar aus ihrer persönlichen Perspektive. Es war ein Gemeinschaftsgefühl unter uns spürbar, was ich schön fand. Unser Leitspruch war: „Cor unum et anima una“ („Ein Herz und eine Seele“).
Fünf Jahre lang studierte ich an der theologischen Fakultät in Innsbruck und schloss mit einem Magister in Philosophie und mit dem ersten Studienabschnitt des Diplomstudiums Fachtheologie ab.
Während dieser fünf Jahre wiederholte ich jährlich die Exerzitien. Jedes Mal fragte ich mich: Wem sollte ich mein Leben widmen? Ich hatte einen geistlichen Begleiter, einen Jesuitenpater, der mich dabei unterstützte, meine Berufung zu finden. Ich dachte darüber nach, später einmal eine Familie zu gründen, Lehrer, Professor oder vielleicht Priester zu werden. Meinen geistlichen Begleiter traf ich in etwa alle sechs Wochen.
Im Canisianum vertiefte und festigte sich ein regelmäßiges, persönliches Gebetsleben. Im Laufe der fünf Jahre spürte ich deutlich, dass ich mein ganzes Leben in einer Gruppe von gläubigen Menschen leben wollte, die ihr ganzes Leben Jesus Christus und den Mitmenschen widmen.
Ich nahm Kontakt mit einem Jesuiten auf, der damals die Berufungspastoral der österreichischen Provinz leitete. Er informierte mich und andere Interessenten näher über den Orden, die Ausbildung, die Apostolate und das konkrete Leben von Jesuiten. Auf seinen Rat hin habe ich eine Woche in einem Benediktinerkloster mitgelebt, um zu erspüren, ob ich vielleicht eine eher kontemplative Berufung habe. Es war von einer eigenen Schönheit, sieben Mal am Tag mit den Benediktinern die Psalmen zu singen und in ihrem beeindruckenden Kloster zu wohnen, in dem sie wie eine Familie lebten. Aber ich spürte, dass ich nicht mein Leben lang in einem Kloster leben wollte. Das war nicht meine Berufung.
Ich fühlte mich der Art des Lebens näher, die ich bei den Jesuiten kennengelernt hatte.
Schließlich besuchte ich das Jesuitennoviziat in Nürnberg. Ich wollte herausfinden, was für Menschen das sind, die dort eintreten. Bei meiner Ankunft hatte ich das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein.
Nach meiner Bewerbung und dem Aufnahmeverfahren trat ich in das Noviziat der Gesellschaft Jesu in Nürnberg ein. Es waren zwei Jahre, die dazu dienten, meine Berufung zu finden und gleichzeitig mit der ignatianischen Spiritualität und dem Orden vertrauter zu werden. Während dieser zwei Jahre waren wir zu jedem Zeitpunkt frei, das Noviziat wieder zu verlassen. Zwei von den sieben, die wir in unserem Jahrgang waren, verließen uns wieder. Ich bewunderte die freilassende und wohlwollende Haltung des Novizenmeisters, die es ermöglichte, wahrhaftige Entscheidungen zu treffen. Nicht zuletzt aufgrund dieses Großmuts, dieser erstaunlichen inneren Freiheit, die ich als typisch ignatianisch kennlernte, habe ich mich entschieden, auf diesem Weg weiterzugehen und Jesuit zu werden.
Am 6. September 2015 legte ich in Nürnberg die ersten Gelübde in der Gesellschaft Jesu ab, am 20. Juni 2020 wurde ich in Paris zum Diakon und am 31. Oktober 2020 in Innsbruck zum Priester geweiht. Aktuell bin ich im Noviziat in Nürnberg als Sozius (Assistent) des Novizenmeisters der zentraleuropäischen Jesuitenprovinz und als Kaplan im Seelsorgebereich Nürnberg Mitte-Nord-West tätig, was mir große Freude bereitet. Ich bin froh, den Weg in den Jesuitenorden gefunden zu haben und ihn weitergehen zu dürfen.