Benediktinerkloster Einsiedeln (Schweiz)

P. Thomas Fässler

Meiner Berufungsgeschichte vorausschicken möchte ich, dass es kaum möglich ist, jemandem zu erklären, weshalb man eigentlich in ein Kloster eingetreten und Mönch geworden ist. Entweder braucht es hierfür keine Worte, weil das Gegenüber intuitiv versteht, was einen jungen Mann dazu bewegen kann, vielleicht weil er selbst eine ähnliche Sehnsucht in sich verspürt. In anderen Fällen wiederum ist es auch mit vielen Worten nicht möglich, den Schritt in ein Kloster verständlich zu machen. Es ergeht mir dabei jeweils wohl wie jemandem, der erklären sollte, weshalb er sich gerade in diese bestimmte Person verliebt hat. Rational kann man so etwas kaum beleuchten. Wohl gibt es nachvollziehbare Gründe, die dafür sprechen – aber letztlich ist Liebe etwas, das einfach geschieht, ohne dass man es sogar sich selbst erklären kann. Ja, auch für mich ist mein eigener Schritt ins Kloster in vielem nicht bis ins Letzte erklärbar. Der Klostereintritt ist ein Ja zu einem Ruf, den man nie ganz erfassen kann.

Die äusseren Umstände meines Berufungsweges sind freilich schnell erzählt, weil es keine abrupten oder spektakuläre Wendungen gab. Prägend und grundlegend für meinen Weg war gewiss die Atmosphäre, die bei uns in der Familie herrschte und die einen fruchtbaren Nährboden bildete, in welchem der Samen der Berufung keimen konnte. Ich würde meine Familie zwar nicht als ausserordentlich fromm bezeichnen, doch war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir vor dem Essen sowie vor dem Zubettgehen beteten und Gott für all das dankten, womit er uns beschenkt hat. Auch der Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes gehörte unhinterfragt zu unserem familiären Wochenendprogramm.

Ein entscheidender Schritt auf meinem Berufungsweg war gewiss der Übertritt an die Stiftsschule, das Gymnasium unseres Klosters Einsiedeln, in dem ich nun inzwischen selbst unterrichte. Es war freilich kein bewusster Entscheid für eine Klosterschule. Vielmehr war der Besuch dieses Gymnasiums im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend, weil wir in einem kleinen Nachbardorf wohnten, keine fünf Kilometer von Einsiedeln entfernt. Damals unterrichteten an der Schule noch weit mehr Mönche als heute und zwar in allen möglichen Fächern – von Sport über Chemie, Mathematik und Physik bis hin zu Griechisch. An dieser Schule drückte ich nun während sechs Jahren die Schulbank, im Alter zwischen 13 und 18. Das ist eine spannende Zeit, in der man zu überlegen beginnt, was man später eigentlich selbst einmal im Leben machen möchte. Dabei stellte ich mir auch die Frage, weshalb wohl meine Lehrer in ihren schwarzen Benediktinerkutten diesen doch etwas sonderbaren Weg gewählt haben. Sie selbst habe ich dabei keineswegs als sonderbar erlebt, vielmehr als ganz normale Menschen, etwa bei der Mithilfe im Klosterladen, in Sommerlagern, auf Ministrantenreisen, bei der Mitarbeit an der Klosterpforte, ja beim Kochen und Kartenspiel. Mönche waren so für mich keine schrulligen, unnahbaren Wesen, wie für viele andere, sondern vielmehr ein selbstverständlicher Teil meines Lebens als Heranwachsender. Die meisten von ihnen waren einst selbst an unserer Schule und hatten mehr oder weniger nahtlos das kleine Zimmer im Internat mit der Zelle in der Klausur getauscht. Wäre vielleicht ein solches Leben auch etwas für mich? Ich sah, wie abwechslungsreich, ja spannend dieses sein konnte, und wie viel Entfaltungspotenzial es bot. Zudem machte es mir Sinn, sich in den Dienst anderer zu stellen. So wog ich diesen Gedanken während mehrerer Jahre ab, wobei ich mir in gewissen Phasen durchaus vorstellen konnte, selbst einmal ein Leben als Mönch zu führen, während dies zu anderen Zeiten wiederum überhaupt nicht infrage kam.

Nach Abschluss der Schule wollte ich freilich Abstand gewinnen. Hat mich der Klostergedanke vielleicht nur deshalb gereizt, weil ich mich an der Schule schlichtweg wohlgefühlt habe? Das wollte ich herausfinden. Bereits zuvor hatte ich mich zum Studium der Geschichte in Fribourg angemeldet, das ich nach dem Militärdienst im Herbst 2003 aufnahm. Unter der Woche lebte ich in einer Wohngemeinschaft. Es war eine tolle Zeit: Die Vorlesungen sagten mir zu, genauso wie der kulturelle Betrieb in dieser mittelalterlichen Kleinstadt direkt auf der Sprachgrenze zwischen dem französisch- und deutschsprachigen Teil der Schweiz. Irgendetwas aber vermisste ich. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht erfüllt war. Es fühlte sich an wie Heimweh. Sobald mir klar geworden war, wohin ich gehörte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und offenbarte meinen Eltern den Wunsch, ins Kloster Einsiedeln einzutreten. Damals war für sie dieser Entscheid nicht ganz einfach, meinten jedoch auch, dass sie bereits geahnt hätten, dass ich eines Tages mit dieser Botschaft zu ihnen kommen würde. Meine Freunde wiederum reagierten unterschiedlich: Die einen waren erstaunt, während die anderen meinten, dass ich perfekt in ein Kloster passe. Beide Reaktionen freuten und bestärkten mich. Offenbar war der Entschluss nicht völlig abwegig und doch hätte man sich für mich durchaus auch andere Wege vorstellen können. So meldete ich mich beim Novizenmeister.

Statt Freudensprünge über einen jungen Klosterinteressenten zu machen, lehnte mich dieser jedoch erst einmal ab: Ein Eintritt käme frühestens in Frage, wenn ich das Bachelordiplom erworben hätte. Dadurch würde er sehen, ob ich gewillt sei, Begonnenes auch zu Ende zu führen. Nachdem ich erst vor Kurzem herausgefunden hatte, wohin es in meinem Leben gehen sollte, war dieses Stoppschild keineswegs einfach für mich. Im Nachhinein jedoch bin ich dankbar für die weiteren Erfahrungen, die ich in der Zeit bis zum Sommer 2006 machen konnte. Dann aber, mit dem ersten universitären Abschluss in der Tasche, klopfte ich erneut an die Klostertüre, 21-jährig. Dieses Mal öffnete sich die Tür und ich trat ein.